7. Einfluss der IFRS auf die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften
1. Fragestellung
Der Einfluss der IFRS auf schweizerische Rechnungslegungsvorschiften besteht in vielfacher Hinsicht. Zum Teil sind IFRS-Grundsätze und Formulierungen direkt in das neue Rechnungslegungsrecht eingeflossen, wie beispielsweise beim Begriff der Aktiven und Verbindlichkeitenoder im Zusammenhang mit der Bewertung von Aktiven mit beobachtbarem Marktwert, Rückstellungen oder auch im Zusammenhang mit der Mindestgliederung. Es stellt sich die Frage, wie sich diese Anleihen bei den IFRS auf die Anwendung dieser Vorschriften auswirken. Muss ein in das Obligationenrecht übernommener Begriff, der in den IFRS eine bestimmte Bedeutung hat im Sinne dieser IFRS-Bedeutung ausgelegt werden? Die Frage ist methodisch zu beurteilen; für die IFRS ist die Frage nicht beantwortet.
Das Rechnungslegungsrecht ergibt sich aus generell gefassten gesetzlichen Bestimmungen, die gestützt auf die Vorstellungen, wie sie im Zeitpunkt der Anwendung bestehen, angewendet werden müssen. Dieser Verweis auf die Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung führt dazu, dass sich das Recht konstant weiterentwickelt: „Der Gesetzgeber hat es der Praxis überlassen zu definieren, was unter Ordnungsmässigkeit zu verstehen ist, und er hat damit auch ermöglicht, diesen Begriff den jeweils geltenden Anforderungen laufend anzupassen“, entsprechend der Weiterentwicklung dessen, was als „ordnungsgemäss“ oder als „allgemein anerkannt“ beurteilt wird. Gegenüber den Vorschriften des Obligationenrechts sind die anerkannten Standards zur Rechnungslegung detaillierter. Die IFRS liefern für viele Fragen, die im Obligationenrecht nicht oder nicht detailliert geregelt sind, eine Antwort. Das führt zur Frage, ob diese Standards als Auslegungshilfe oder gar als mittelbares Gesetzesrecht auch im Anwendungsbereich des Obligationenrechts beigezogen werden dürfen oder müssen. Immerhin bezieht sich der Verweis auf die allgemein anerkannten Grundsätze der Rechnungslegung oder die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung und Rechnungslegung auf das, was durch die Rechtsanwender im Geltungszeitraum als sachlich richtig empfunden wird. Für die Swiss GAAP FER wurde vertreten, dass diese die Grenzlinie zur Usanz überschritten hätten und durch die Verweisung auf die Grundsätze ordnungsmässiger Buchführung und Rechnungslegung in Teilfragen zum mittelbaren Gesetzesinhalt geworden sind. Es stellt sich die Frage, ob das auch für die IFRS gelten kann.
Unabhängig von der Frage des mittelbaren Gesetzesrechts können Rechnungslegungsstandards als Auslegungshilfe beigezogen werden. Das gilt nach Auffassung des Bundesgerichts nicht nur für die Swiss GAAP FER, sondern auch für die IFRS, die beim Fehlen von Bestimmungen der schweizerischen Rechtsordnung zu bilanzbezogenen Punkten als Auslegungshilfe beigezogen werden, solange sie diesen nicht widersprechen. Begründet hat das Bundesgericht diesen Schritt damit, dass in der Schweiz und in Europa eine generelle Tendenz vorherrsche, sich den Normen des IFRS zu nähern und aufgrund der rudimentären Regeln des schweizerischen Rechts eine Auslegungshilfe nötig erscheint. Der Entscheid kann ein Hinweis darauf sein, dass es keine zwei getrennte OR und Swiss GAAP FER oder IFRS-„Welten“ gibt, sondern eine einheitliche Rechtsordnung, in der Normen insbesondere auch des IFRS beigezogen werden dürfen und müssen, wenn das Obligationenrecht keine Antwort liefert.
Weiter verlangen börsenrechtliche Vorschriften, dass bei börsenkotierten Unternehmen die konsolidierte Konzernrechnung nach IFRS erstellt wird. Das führt dazu, dass diese Normen der Selbstregulierung als Folge deren obligatorische Anwendung zu mittelbarem Gesetzesrecht werden. Die genauen Auswirkungen dieses Verweises werden in diesem Teilprojekt genauer untersucht.
2. Bestehende Forschung
In der ausländischen und schweizerischen Forschung werden die beiden Bereiche „Handelsrechtliche Rechnungslegung“ und „IFRS“ traditionell getrennt behandelt. Beispielhaft kann dazu auf die Darstellung des Rechnungslegungsrechts im aktienrechtlichen Standardwerk von Peter Böckli verwiesen werden, wo die beiden Bereiche sogar in getrennten Kapiteln besprochen werden. Auch die ausländische Literatur trennt zwar beide Bereiche weitgehend, ist aber offener gegenüber einer konsolidierten Betrachtungsweise. Der Gesuchsteller hat in seinem Ende 2012 erschienen SPR-Band „Rechnungslegung im Gesellschaftsrecht“ versucht, beide Bereiche themenbezogen einheitlich darzustellen und hat auch die Frage aufgeworfen, dass die IFRS sich auch auf die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften auswirken können; eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser spezifischen Fragestellung blieb aber aus.
3. Methode
Die Methode ist die juristische Erörterung; innerhalb dieser gehört aber die Wahl der Methode zur Aufgabenstellung der Doktorarbeit; die Methode soll in diesem Gesuch daher nicht vorgegeben werden. Gleichwohl werden im Rahmen dieser Arbeit sicher folgende Fragen zu beantworten sein: In einem Grundlagenteil ist die Rechtsnatur der IFRS als Norm der Selbstregulierung und als Verkörperung der Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung zu analysieren. Es ist auch die Frage zu beantworten, ob die IFRS als EU-IFRS ausländisches Recht sind oder Normen der internationalen Selbstregulierung und wie sich dies auf deren Einfluss auf die schweizerische Rechtsordnung auswirkt. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage zu untersuchen, ob die zwingende Anwendung der IFRS für bestimmte börsenkotierte Unternehmen am Charakter der IFRS etwas ändert und sie von einer Norm der Selbstregulierung in die Nähe von Gesetzen bringt. Es ist zu prüfen, nach welchen Grundsätzen IFRS-Vorschriften zur Feststellung des schweizerischen Rechnungslegungsrechts und der Grundsätze ordnungsmässiger Rechnungslegung beigezogen werden dürfen. Dazu gehört auch eine Untersuchung der Frage, inwieweit ganz generell Normen der Selbstregulierung bei der Auslegung schweizerischen Rechts beigezogen werden dürfen. Diese Aufgabe setzt eine Auseinandersetzung mit den IFRS-Vorschriften voraus. Nur so kann festgestellt werden, wo die Wertungen und Grundsätze gleich oder unterschiedlich sind. Wenn die Wertungen gleich sind, wie im schweizerischen Recht, ist eine Übernahme von IFRS-Grundsätzen einfacher zu begründen. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage, ob IFRS-Vorschriften, die dem Vorsichtsprinzip des OR entsprechen oder dieses konkretisieren, eher übernommen werden dürfen, als Vorschriften, die sich aus Transparenz-bezogenen Überlegungen ergeben. Weiter ist auch die Frage zu klären, ob IFRS Vorschriften angewendet werden dürfen oder müssen, ob ihre Anwendung also zwingend ist, oder ob sie im Sinne eines Wahlrechts angewendet werden dürfen.
4. Dissertation: Einfluss der IFRS auf die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften
Die Ergebnisse des ersten Teilprojektes sollen in einer Dissertation zum Thema des Einfluss der IFRS auf die handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften veröffentlicht werden.