8. Rechnungslegung nach IFRS, „Dual Standard Rechnungslegung“
1. Grundlagen
Für an der Börse kotierte Gesellschaften ist gestützt auf handels- und börsenrechtlichen Vorschriften in vielen Fällen die Vornahme der konsolidierten Konzernrechnung gestützt auf IFRS-Vorschriften vorgeschrieben. Das führt im Ergebnis zu einem Dualismus, der das Unternehmen dazu verpflichtet, sowohl nach Obligationenrecht, wie auch nach Regelwerk Rechnung zu legen. Um diesen doppelten Aufwand zu vermeiden, sah der Entwurf zum neuen Rechnungslegungsrecht in Art. 962 Abs. 1 E-OR vor, dass das Unternehmen auf die Erstellung der Jahresrechnung nach den Vorschriften des OR verzichten kann, wenn es einen Abschluss nach einem anerkanntem Standard zur Rechnungslegung erstellt. Im Verlauf der parlamentarischen Beratungen hat sich dann aber gezeigt, dass die Konsequenzen im Hinblick auf die Reflexwirkungen zwischen der Rechnungslegung und weiteren Vorschriften zu wenig beachtet worden sind und diese Möglichkeit wurde an der Sitzung vom 16. März 2011 auf Vorschlag seiner Rechtskommission durch den Ständerat gestrichen.
Die gescheiterte Möglichkeit des Abschlusses nach anerkanntem Standard führt zur Frage, ob die Zielsetzung der geplanten Reform auch anders erreicht werden kann, ob es möglich ist, die Bilanz so zu verfassen, dass sie sowohl den Ansprüchen des Obligationenrechts, wie den IFRS entspricht. Scheitert die Parallelität der Normen an zwingenden Vorschriften, bliebe immer noch die Möglichkeit, durch eine starke Annäherung der beiden Vorschriften den Anpassungsaufwand zu minimieren. Die Frage ist auch unter dem Aspekt relevant, dass die IFRS allenfalls als Norm der internen finanziellen Führung durch den Verwaltungsrat beigezogen werden dürfen (vgl. drittes Teilprojekt Ziff. 2.3.4). Sollte sich zeigen, dass die Anwendung der IFRS sowohl als externe Rechnungslegungsnorm, wie auch als interner Sorgfaltsmassstab für den Verwaltungsrat anwendbar ist, würde das die Anwendung der IFRS begünstigen.
Eine genaue Betrachtung zeigt, dass viele vermeintliche Inkompatibilitäten zwischen der OR- und der IFRS-Rechnungslegung sich durch die Ausübung bestimmter Wahlrechte, die in beiden Normen bestehen, überwunden werden können. So kann auch nach IFRS-Vorschriften für die Bewertung das Anschaffungskostenprinzip gewählt werden. Für viele Kategorien des Umlauf- und Anlagevermögens besteht in den IFRS die Möglichkeit, anstelle eines Marktwerts oder eines zukunftsbezogenen Ertragswerts den Herstellungs- oder Anschaffungswert zu wählen und diesen in den Folgejahren abzuschreiben, gleich wie im Handelsrecht. Zwingende Unterschiede auf der Passivseite finden sich bei den Rückstellungen. Hier sind die Vorschriften der IFRS streng, indem Rückstellungen nur für zukünftige Mittelabflüsse aus vergangenen Risiken zulässig sind, nicht aber für andere Risiken, die in der Zukunft liegen. Die handelsrechtlichen Vorschriften erzwingen in diesen Fällen aber keine Rückstellung, sondern erlauben sie lediglich,sodass ein Unternehmen, das einen „Dual-Standard-Abschluss“ anstrebt, auf die zusätzlichen Rückstellungsmöglichkeiten des Handelsrechts auch verzichten kann.
Weitere Unterschiede bestehen im Bereich der Gliederung, der Aufschlüsselung und ganz generell der Transparenz, was vor allem zu weitergehenden Offenlegungspflichten im Anhang und im Lagebericht führt. Auch diese Zusatzanforderungen gestützt auf die anerkannten Standards stehen aber nicht im Widerspruch zum Handelsrecht. Seine Gliederungsvorschriften und die Vorschriften über die Angaben im Anhang sind Minimal-, keine Maximalvorschriften und eine Rechnungslegung welche weitergeht als das, was nach Obligationenrecht vorgeschrieben ist, ist immer noch handelsrechtlich korrekt. Diese grundsätzliche Zulässigkeit eines „Dual Standard Abschlusses“ kann für Unternehmen, die gezwungenermassen oder freiwillig (auch) nach einem anerkannten Rechnungslegungsstandard bilanzieren, zu Effizienz- und Kosteneinsparungen führen.
2. Bestehende Forschung
Eine Untersuchung zur „Dual Standard Rechnungslegung“ wurde bis jetzt vor allem für das Dual Standard Reporting von IFRS und US GAAP vorgenommen. Das Forschungsgebiet ist neu, denn viele Staaten sind sich noch nicht darüber einig, wie die IFRS in die nationale Gesetzgebung überführt werden soll. In all denjenigen Staaten, die IFRS-Abschlüsse auch für handelsrechtliche Bilanzen zulassen, stellt sich die Frage nicht. In anderen Staaten, in denen die IFRS nur mittelbar als „Inspiration“ für den nationalen Gesetzgeber Verwendung fanden, stellt sich die Frage durchaus, und wurde im Schrifttum auch erörtert. Für das Schweizer Recht gibt es solche Untersuchungen noch nicht.
3. Methode
Die Untersuchung bedingt eine Analyse der Unterschiede der IFRS- und OR Vorschriften um die zwingenden Inkompatibilitäten festzustellen. Dabei ist aber zu beachten, dass nur diejenigen Normen zwingend inkompatibel sind, die in einer der beiden Normen nicht angewendet dürfen. Es sind also die Gebiete festzustellen, bei denen unter Ausschöpfung aller Spielräume und Wahlrechte im OR und in den IFRS zu gleichen Resultaten führen. Zur Untersuchung gehört auch eine Darstellung der Rechnungslegungsvorschriften, die zwingend inkompatibel sind, bei denen auch unter Inanspruchnahme aller Wahlrechte und Gestaltungsfreiheiten Unterschiede verbleiben und eine Darstellung der Unterschiede zu den Swiss GAAP FER, also zur Frage, ob eine Dual Standard Rechnungslegung einfacher wäre, wenn sie sich auf die Swiss GAAP FER beziehen würde. Die Forschung wird sich nicht darauf beschränken, die Gemeinsamkeiten der OR- und der IFRS-Rechnungslegung zu bezeichnen. Geplant ist auch, vom Unternehmen auszugehen und aufzuzeigen, dass durch den Verzicht auf bestimmte Transaktionen und komplexe Aktiven (beispielsweise im Bereich der Finanzprodukte) die Rechnungslegung stark vereinfacht werden kann. In den meisten Fällen entstehen solche Aktiven gestützt auf bewusste Entscheide und das Unternehmen kann folglich durch den Verzicht auf solche Instrumente auch den Aufwand (und die Kosten) der Rechnungslegung steuern. Gerade KMU verfügen oft über eine relativ einfache Bilanzstruktur, so dass eine Dual-Standard Rechnungslegung OR-IFRS oder IFRS für KMU nicht unbedingt zu einem grossen Mehraufwand führen muss.
4. Dissertation: Rechnungslegung nach IFRS, „Dual Standard Rechnungslegung“
Das Ergebnis dieses zweiten Teilprojekts soll in einer Dissertation „Dual Standard Rechnungslegung“ publiziert werden. Im Gesuch soll die Methode nicht vorweggenommen werden, aber die Arbeit bedingt sicher auch eine synoptische Darstellung der Unterschiede zwischen IFRS, Swiss GAAP FER und OR und wie diese Unterschiede durch die Ausübung von Wahlrechten überbrückt werden können.