4. Eignung der Rechnungslegungsvorschriften als Grundlage für Führungsentscheide im Unternehmen ?

1. Grundlagen

Eine der Funktionen der Rechnungslegung liegt darin, dem Management und dem Verwaltungsrat des Unternehmens Grundlagen für eine pflichtgemässe Entscheidfindung zu liefern. Eine unübertragbare Kompetenz des Verwaltungsrats ist gestützt auf Art. 716a Abs.1 Ziff. 3 OR „die Ausgestaltung des Rechnungswesens, der Finanzkontrolle sowie der Finanzplanung, sofern diese für die Führung der Gesellschaft notwendig ist“. Entscheide, die sich auf die finanzielle Situation des Unternehmens auswirken können, kann er nur pflichtgemäss fällen, wenn er weiss, wie sich dieser Entscheid auf die finanzielle Situation des Unternehmens auswirkt. Dazu braucht er umfassende Informationen zur die Vermögens- und Finanzlage, deren Veränderung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Risikofähigkeit eines Unternehmens. Diese Notwendigkeit besteht immer, nicht nur in der Krise. In der Krisensituation kommt zu den unübertragbaren Pflichten die Pflicht dazu, bei Überschuldung das Konkursgesuch zu stellen. Auch dieser Pflicht kann er nur entsprechen, wenn er die finanzielle Lage des Unternehmens kennt.

2. Bezug zwischen der Buchhaltung, Finanzkontrolle und Rechnungslegung

Die Jahresrechnung stützt sich auf die Buchführung der Gesellschaft ab; je differenzierter die Anforderungen an die Jahresrechnung sind (beispielsweise gestützt auf IFRS-Vorschriften), je differenzierter muss auch die Buchhaltung sein. Somit definieren die in der Gesellschaft verwendeten Rechnungslegungsvorschriften auch die Anforderungen an die Buchhaltung und damit auch die Instrumente der Finanzkontrolle, die dem Verwaltungsrat zur Verfügung stehen. Eine Buchhaltung, die im Hinblick auf eine OR-Rechnungslegung eingerichtet wird, darf weniger differenziert sein, als eine Buchhaltung in einer Gesellschaft, die nach IFRS Rechnung legt.

3. Rechnungslegung nach OR

Die Rechnungslegungsvorschriften des OR sind als Grundlage für Entscheide der Geschäftsführung oder des Verwaltungsrats nicht geeignet. Die Bildung von Bewertungsgruppen, stillen Reserven, die ungenügende und undifferenzierte Abbildung von Risiken, die Möglichkeit Aktiven unter ihrem Wert zu bilanzieren, führen dazu, dass die Rechnungslegungsvorschriften des OR keine Grundlage für pflichtgemässe Entscheide im Unternehmen sein können. Darüber besteht Einigkeit in der Lehre. Der Verwaltungsrat darf seine Entscheide nicht auf die handelsrechtliche Bilanz abstützen, sondern er muss seinen Entscheiden effektive Zahlen zu Grunde legen.

4. Rechnungslegung nach IFRS

Die Vorschriften der IFRS sind viel strenger, streben ein den wirklichen Verhältnissen entsprechendes Bild an und verpflichten durch den Grundsatz der Einzelbewertung, das weitgehende Verbot stiller Reserven und den Zwang, Unternehmensrisiken abzubilden den Verwaltungsrat zu einer Rechnungslegung, die auch als Führungsinstrument für die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat brauchbar ist. Die Aussagekraft der IFRS Rechnungslegung ist viel grösser, als dies bei der OR-Rechnungslegung der Fall ist. Werterhöhungen und Wertverluste werden einzeln abgebildet und dürfen nicht (wie im OR) in Sammelposten verrechnet werden. Die Abbildung von Risiken ist viel genauer. Negative Auswirkungen von Entscheiden können nicht verschleiert werden, sondern werden in der IFRS-Rechnungslegung offengelegt. Weil praktisch alle Entscheide sich auf die Rechnungslegung auswirken, wird das Management seine potentiellen Entscheide unter dem Aspekt der IFRS Verbuchung beurteilen und dadurch Risiken besser erkennen.